Kolumne für Netzwerk Südbaden, Ausgabe Februar 2021

Homeschooling – warum bekommt Deutschland nicht in den Griff, was in anderen Ländern problemlos funktioniert? Eine Vertiefung in IT-Technologie und in die Regularien helfen bei der Erklärung.

Nahezu alle Eltern in Deutschland mussten sich nach den Weihnachtsferien auf Wochen mit Homeschooling für ihre schulpflichtigen Kinder einrichten. Besonders für Berufstätige ist das eine Herausforderung, vor allem, wenn die Lernplattform nicht richtig funktioniert und die Kinder Hilfe von ihren Eltern benötigen.

Das Kultusministerium in Baden-Württemberg bietet den Schulen für den Distanzunterricht die Online-Plattform Moodle an. Moodle ist eine Software, die es ermöglicht, internetbasierte Kurse zu entwickeln und den Schülern zur Verfügung zu stellen. Die Software erlaubt auch die Einrichtung von Lerngruppen, Funktionen zur Verteilung von Aufgaben an Schüler und Chat-Funktionen zum Informationsaustausch. Das klingt erstmal einfach und jeder von uns kennt und nutzt ähnliche Internet-Dienste, zum Beispiel Facebook, Teams usw. Mit massiven Ausfällen und Geschwindigkeitsproblemen haben diese Dienste jedoch in der Regel nicht zu kämpfen, obwohl weltweit deutlich mehr Benutzer sie zeitgleich in Anspruch nehmen. Was also machen die Betreiber dieser Dienste anders als die Betreiber der Online-Plattform Moodle?

Unbestritten sind 600.000 Moodle-Nutzer in Baden-Württemberg eine stolze Hausnummer. Jeder, der von der Informationstechnologie (IT) ein wenig Ahnung hat, weiß, dass die Benutzer über ihren Heim-Computer, auch Client genannt, auf diese Software, die auf einem zentralen Server gespeichert ist, über das Internet zugreifen. Will man jedoch eine hohe Anzahl gleichzeitiger Nutzer über einen Server bedienen, reicht ein einzelner Server nicht aus und es werden Serverfarmen benötigt. Unter Serverfarm versteht man eine große Anzahl an Servern, die parallel arbeiten und so die große Anzahl der Nutzer bedienen können. Diese richtig zu dimensionieren ist eine komplexe Aufgabe. Nicht zu viele Server, weil das sonst zu teuer wäre und nicht zu wenig Server, weil ansonsten Ausfälle und Geschwindigkeitsprobleme drohen.

Der eine oder andere stellt sich jetzt die Frage, weshalb in der heutigen Zeit überhaupt noch Serverfarmen vom Kultusministerium geplant, beschafft, aufgebaut und betrieben werden. Weshalb überlässt das Kultusministerium nicht das Bereitstellen von Serverfarmen Profis, wie zum Beispiel den großen Cloudplattformen Amazon Web Services, Microsoft Azure oder Google Cloud? Durch die Nutzung einer der großen Cloud-Plattformen wären die Moodle-Probleme vermutlich gelöst gewesen, jedoch hätte man sich ein anderes, nicht unwesentliches Problem eingefangen: Gegen die großen Cloud-Anbieter, die allesamt aus den USA kommen, gibt es hierzulande massive datenschutzrechtliche Bedenken. Ob berechtigte oder unberechtigte sei zunächst dahingestellt. Diese Bedenken rühren daher, dass die Daten eben nicht in einem Rechenzentrum auf deutschem Boden, das strengen datenschutzrechtlichen Bestimmungen unterliegt, lagern, sondern flapsig formuliert, überall und nirgendwo gespeichert sein können.

Unter unsere-digitale.schule haben sich u.a. der Philologenverband, der GEW, Verbraucherschutz, der Landesschülerbeirat, der Landeselternbeirat und viele andere zusammen getan, um sich gegen eine mögliche Nutzung der Cloud-Software Microsoft 365 stark zu machen und stattdessen weiter auf die Nutzung und den Ausbau vorhandener eigener Lösungen für den digitalen Unterricht der Schulen zu setzen.

Die Anfangsschwierigkeiten von Moodle scheinen nun weitgehend gelöst zu sein. Die Probleme waren aber in erster Linie nicht auf unfähige Macher im Land Baden-Württemberg zurückzuführen, sondern auf die komplexen Datenschutzrichtlinien in Deutschland und auf den Widerstand von Vereinigungen, die gegen eine Nutzung der großen Cloud-Plattformen Bedenken formulieren.

Als Ausblick möchte ich jedoch nicht unerwähnt lassen, dass es in der heutigen Zeit sehr wohl Lösungsmöglichkeiten geben würde. Die Flexibilität der Cloud-Technologie gepaart mit den hohen Ansprüchen an deutsche Datenschutzrichtlinien könnte ohne Probleme über verfügbare Cloudangebote aus Deutschland erfüllt werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlichen des Kultusministeriums bei zukünftigen Projekten bereit sind, neue Wege zu gehen.

Der Autor

Julian Sayer, selbst Vater eines Sohnes, ist Vorstand für Vertrieb, Marketing und Entwicklung des Freiburger Hostingunternehmens und Cloud Solution Providers Continum AG. Als AWS und Microsoft Azure Partner versteht sich die Continum AG als „Anwalt“ des Kunden und unterstützt Unternehmen auf dem sicheren Weg in die Cloud.

 

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